Entspannungstechniken – die Vor- und Nachteile von Autogenem Training, Meditation, Progressiver Muskelrelaxation und kreativer Entspannung
Welche Methode passt zu dir?
In der Theorie klingt es ganz einfach: Wer regelmäßig entspannt, kann Stress reduzieren, besser schlafen, klarer denken und sich insgesamt wohler fühlen. Doch in der Praxis ist es gar nicht so leicht, die passende Entspannungstechnik zu finden. Jede Entspannungstechnik hat ihre Vor- und Nachteile.
Die einen schwören auf Meditation, andere finden im Autogenen Training zur Ruhe, wieder andere brauchen Bewegung oder Struktur, wie bei der Progressiven Muskelrelaxation. Und manche merken: Irgendwie passt keine Methode so richtig. Hast du schon die passende Methode für dich gefunden?
In diesem Artikel stelle ich dir drei der bekanntesten Entspannungsverfahren vor – mit ihren jeweiligen Stärken und Grenzen, je nach Lebenslage, Persönlichkeit oder Beschwerden wie ADHS, Trauma, Schmerzen oder innerer Unruhe.
Am Ende hast du vielleicht ein klareres Bild davon, was zu dir passt oder du entdeckst eine neue, kreative Möglichkeit, wie Entspannung sich auch anfühlen kann: leicht, lebendig und genau richtig für dich?
Progressive Muskelrelaxation (PMR)
Wenn der Körper zur Ruhe kommt, kann auch der Geist loslassen. Die Progressive Muskelrelaxation nach Jacobsen – kurz PMR – gehört zu den bekanntesten Entspannungsverfahren.
Viele Menschen finden damit einen guten Einstieg in die Welt der Selbstfürsorge. Für jede Situation ist sie jedoch leider nicht geeignet. Besonders bei ADHS, Trauma, Depressionen oder chronischen Schmerzen lohnt sich ein genauerer Blick.
Was ist Progressive Muskelrelaxation?
Bei der Progressiven Muskelrelaxation werden nach und nach verschiedene Muskelgruppen angespannt und wieder locker gelassen, zum Beispiel Hände, Schultern, Gesicht oder Beine. Durch diesen Wechsel zwischen Anspannung und Entspannung wird die Wahrnehmung für den eigenen Körper geschärft. Regelmäßig geübt, kann PMR helfen, das Stressniveau zu senken, den Schlaf zu verbessern und die innere Unruhe zu verringern.
Für wen kann PMR als Entspannungstechnik hilfreich sein?
ADHS
Menschen mit ADHS profitieren oft von der Struktur und dem körperlichen Zugang der PMR. Die Methode kann helfen, Spannungszustände abzubauen und ein besseres Körpergefühl zu entwickeln. Wichtig ist, dass der Ablauf klar und nicht zu lang ist sonst verliert sich die Aufmerksamkeit schnell.
Trauma
Hier ist Vorsicht geboten: Wenn jemand traumatische Erfahrungen gemacht hat, kann der intensive Körperfokus unangenehm sein oder sogar belastende Erinnerungen hervorrufen. Achtsame Anleitung und gute Vorbereitung sind entscheidend oder es braucht ein anderes, sanfteres Verfahren.
Depressionen
Bei Depressionen kann PMR eine echte Unterstützung sein. Studien zeigen, dass regelmäßiges Üben den Schlaf verbessert, Anspannung reduziert und die Stimmung aufhellen kann gerade als begleitende Maßnahme im Alltag.
Angststörungen
Bei innerer Unruhe, generalisierter Angst oder Panikneigung kann PMR dabei helfen, den Körper als sicheren Ort wiederzuentdecken. Die Übungen wirken beruhigend auf das Nervensystem und schaffen Abstand zu kreisenden Gedanken.
Chronische Schmerzen
Besonders bei Verspannungen oder stressbedingten Schmerzen kann PMR wohltuend wirken. Sie hilft, den Fokus vom Schmerz wegzulenken und den Körper wieder als lebendig und steuerbar zu erleben. Bei chronischen Schmerzsyndromen ist sie allerdings nicht immer erste Wahl, hier kommt es auf das Schmerzprofil an.
Migräne
PMR gehört zu den bewährten Methoden zur Migräneprophylaxe. Wer regelmäßig übt, kann Häufigkeit und Intensität der Anfälle verringern, besonders, wenn Stress ein Auslöser ist. Wichtig ist: dranbleiben!
Wann ist PMR nicht die beste Wahl?
Fibromyalgie
Bei Fibromyalgie reagieren viele Betroffene empfindlich auf körperliche Anspannung. Selbst leichtes Anspannen kann Schmerzen verstärken. Deshalb wird PMR in den Leitlinien nur eingeschränkt empfohlen. Sanftere Methoden, die ohne aktive Muskelarbeit auskommen, sind meist besser geeignet.
Rheumatische Erkrankungen (z. B. Arthritis)
Auch hier ist Vorsicht angebracht. In stabilen Phasen kann PMR zur Stressbewältigung beitragen. Während akuter Schübe oder bei empfindlichen Gelenken sollte man jedoch auf andere Entspannungswege ausweichen.
Vorteile der PMR auf einen Blick
- Strukturiert und leicht zu lernen
- Hilft, körperliche Spannungen wahrzunehmen und zu lösen
- Fördert die Selbstwirksamkeit und wirkt beruhigend auf Körper und Geist
Fazit
Die Progressive Muskelrelaxation ist ein bewährter Weg zur Entspannung. Gerade für Menschen, die sich über den Körper gut regulieren können. Aber wie immer gilt: Nicht jede Methode passt zu jeder Lebenslage. Gerade bei Trauma, starker Erschöpfung oder chronischen Schmerzen braucht es manchmal einen anderen Zugang.
In sich ruhen – Autogenes Training (AT)
Beim Autogenen Training bringst du durch einfache Sätze deinem Körper bei loszulassen. Autogenes Training ist eine klassische Entspannungsmethode, die mit inneren Bildern und einfachen Formeln arbeitet. Viele Menschen schwören auf die tiefe Ruhe, die sich damit erreichen lässt. Doch auch hier gilt: Nicht jede Methode passt zu jeder Situation. Besonders bei Trauma, ADHS oder chronischen Schmerzen braucht es Fingerspitzengefühl.
Was ist Autogenes Training?
Das Autogene Training wurde in den 1920er Jahren vom Psychiater Johannes Heinrich Schultz entwickelt. Es funktioniert über sogenannte formelhafte Vorsätze, also kurze, wiederholte Sätze wie:
„Mein Arm ist schwer.“
„Ich bin ganz ruhig.“
Diese Sätze werden im Liegen oder Sitzen innerlich wiederholt, ähnlich wie ein Mantra, bis sich ein Zustand tiefer Entspannung einstellt. Ziel ist es, über diese Form der Autosuggestion das vegetative Nervensystem zu beruhigen. Körperliche Funktionen wie Herzschlag, Atmung oder Verdauung können so positiv beeinflusst werden.
Für wen kann Autogenes Training als Entspannungstechnik hilfreich sein?
Depressionen
Gerade bei leichter bis mittelschwerer Depression kann Autogenes Training helfen, die innere Anspannung zu lösen, Grübelgedanken zu unterbrechen und Schlafstörungen zu lindern. Es unterstützt den Zugang zu Ruhe und Selbstwahrnehmung, ohne körperlich aktiv werden zu müssen.
Angststörungen
Viele Menschen mit Ängsten profitieren von der beruhigenden Wirkung der inneren Sätze. Die Methode vermittelt Kontrolle, Verlässlichkeit und innere Ordnung, drei Aspekte, die bei Angst oft fehlen.
Chronische Schmerzen
Das vegetative Nervensystem spielt bei chronischen Schmerzen eine große Rolle. Durch Autogenes Training kann es gelingen, Schmerzwahrnehmung zu verändern und weniger als überwältigend zu erleben. Besonders bei stressbedingten Schmerzsyndromen wie Spannungskopfschmerzen kann AT unterstützend wirken.
Migräne
In der Migräneprophylaxe ist AT gut erforscht. Es kann die Häufigkeit und Intensität von Anfällen reduzieren, wenn es regelmäßig geübt wird.
Wann ist AT nicht die beste Wahl?
ADHS
Menschen mit ADHS fällt es oft schwer, ruhig zu sitzen oder sich über längere Zeit auf innere Formeln zu konzentrieren. Die Methode wirkt dann eher frustrierend als entspannend. Für diese Zielgruppe sind bewegte oder kreative Verfahren häufig besser geeignet.
Trauma
Bei Menschen mit traumatischen Erfahrungen können die inneren Suggestionen im Autogenen Training unangenehme Erinnerungen oder Dissoziationen auslösen, besonders, wenn die Formeln als „zu nah“ oder kontrollierend empfunden werden. In stabilen Phasen, gut begleitet, kann AT aber auch helfen, das Körpererleben sanft zurückzugewinnen.
Fibromyalgie & rheumatische Erkrankungen
Hier ist die Studienlage durchwachsen. Während manche Betroffene die Methode als hilfreich empfinden, berichten andere, dass sie durch die ruhige, innere Konzentration mehr in den Schmerz „hineingeraten“. Auch hier gilt: ausprobieren – aber nicht erzwingen.
Vorteile des Autogenen Trainings auf einen Blick
- Tiefe Ruhe durch mentale Fokussierung
- Keine körperliche Anstrengung notwendig
- Gut erforscht und bei vielen psychosomatischen Beschwerden wirksam
- Fördert die Selbstregulation und emotionale Stabilisierung
Fazit
Autogenes Training kann ein kraftvoller Weg sein um zur Ruhe zu kommen. Gerade für Menschen, die bereit sind, sich auf die innere Sprache des Körpers einzulassen. Es braucht allerdings Konzentration, Vorstellungskraft und die Bereitschaft, sich einzulassen. Für manche passt es wunderbar. Für andere ist es zu starr, zu monoton oder einfach nicht der richtige Weg.
Gedanken beruhigen, bei dir ankommen – Meditation
Meditation ist für viele Menschen ein Zauberwort: zur Ruhe kommen, den Geist klären, im Moment sein. Aber für manche fühlt sie sich auch nach Druck an: stillsitzen, nichts denken, etwas „richtig“ machen müssen.
Dabei ist Meditation ein weites Feld. Und wie bei allen Entspannungsverfahren gilt: Es kommt darauf an, was zu dir passt. Besonders bei ADHS, Trauma oder starken Ängsten braucht Meditation eine achtsame Herangehensweise und gute Begleitung.
Was ist Meditation?
Meditation ist keine Technik, sondern ein Zustand: ein wacher, ruhiger Moment im Hier und Jetzt. Es gibt unzählige Formen. Von stiller Atembeobachtung über Mantra-Meditation bis hin zu Achtsamkeitsübungen oder Gehmeditationen.
Im therapeutischen Bereich werden oft achtsamkeitsbasierte Methoden wie MBSR (Mindfulness-Based Stress Reduction) eingesetzt. Ziel ist es, die Aufmerksamkeit bewusst zu lenken, Gedanken ziehen zu lassen und eine offene, nicht-wertende Haltung sich selbst gegenüber zu entwickeln.
Für wen kann Meditation als Entspannungstechnik hilfreich sein?
Depressionen
Gerade bei wiederkehrenden depressiven Episoden ist Meditation hilfreich, vor allem in der Rückfallprophylaxe. Achtsamkeitsbasierte Verfahren wie MBCT (Mindfulness-Based Cognitive Therapy) helfen, Grübelschleifen zu unterbrechen und eine neue, freundlichere Haltung sich selbst gegenüber zu entwickeln.
Angststörungen
Bei Ängsten kann Meditation helfen, aus dem ständigen Kopfkino auszusteigen. Der Atem, der Körper, der gegenwärtige Moment werden zu Ankerpunkten. Studien zeigen gute Effekte – vorausgesetzt, die Methode wird sanft eingeführt und individuell angepasst.
Chronische Schmerzen & Migräne
Meditation verändert nicht unbedingt den Schmerz selbst, aber die Beziehung dazu. Menschen lernen, sich nicht mit dem Schmerz zu identifizieren, sondern ihn zu beobachten, ohne sich von ihm überwältigen zu lassen. Besonders Achtsamkeitsmeditation zeigt gute Ergebnisse bei Migräne, Fibromyalgie und Rückenschmerzen.
ADHS
Auch wenn es paradox klingt: Gerade Menschen mit ADHS profitieren langfristig von Achtsamkeit. Meditation kann helfen, Impulse besser wahrzunehmen und den Fokus sanft zurückzuholen. Wichtig ist, niedrigschwellig einzusteigen – kurze, geführte Einheiten, Bewegungspausen und kreative Impulse wirken oft besser als klassische Sitzmeditationen.
Wann ist Meditation nicht die beste Wahl?
Trauma
Bei traumatisierten Menschen kann stille Meditation unangenehme Zustände oder Flashbacks auslösen – besonders, wenn der Körper zur Ruhe kommt und unbewusste Inhalte auftauchen. Hier braucht es eine gute Vorbereitung, Stabilisierungstechniken und im besten Fall therapeutische Begleitung. In stabilen Phasen oder mit angepassten Methoden (z. B. Gehmeditation, Meditation mit Fokus auf äußere Reize) kann sie jedoch sehr hilfreich sein.
Fibromyalgie & rheumatische Erkrankungen
Sitzen fällt vielen Betroffenen schwer – deshalb sind bewegte oder geführte Meditationen oft angenehmer. Achtsamkeit im Alltag (z. B. beim Malen, Spazierengehen oder Tee trinken) ist häufig wirkungsvoller als klassische Sitzpraxis.
Vorteile der Meditation auf einen Blick
- Wirksam bei Depression, Angst, chronischem Schmerz
- Fördert Selbstmitgefühl, emotionale Stabilität und innere Ruhe
- Einsetzbar im Alltag – auch in kleinen Momenten
- Wissenschaftlich gut untersucht – v. a. Achtsamkeitsansätze
Fazit
Meditation ist ein wunderbare Entspannungstechnik, wenn man sie als Einladung versteht, nicht als Leistung. Du musst nicht stillsitzen können. Du musst nicht aufhören zu denken. Meditation darf sanft, kreativ, beweglich und alltagsnah sein. Sie darf sich verändern, so wie du dich veränderst.
Und wenn keine der Entspannungstechniken so richtig passt?
Vielleicht hast du dich beim Lesen wiedergefunden – oder vielleicht auch nicht. Vielleicht hast du gemerkt, dass dir stillsitzen schwerfällt. Dass du dich bei inneren Formeln nicht wohlfühlst. Oder dass dein Körper gerade gar keine zusätzliche Anspannung gebrauchen kann.
Dann möchte ich dir etwas anderes zeigen: Kreative Entspannung.
Stell dir vor, du müsstest nichts leisten. Du darfst einfach eintauchen: in Farben, Geschichten, kleine Bewegungen, angenehme Geräusche. Es gibt keine „richtige Technik“ – nur einen Raum, in dem du loslassen darfst. Auf deine Weise.
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Vielleicht ist genau das der Anfang, bei dir selbst anzukommen.
→ Hier erfährst du mehr über kreative Entspannung mit seienswert

Quellen und Studien zum Thema:
- Manzoni et al. (2008):
Relaxation training for anxiety: a ten-years systematic review with meta-analysis.
→ Wirkung von PMR bei Angststörungen - Nestoriuc et al. (2008):
Biofeedback treatment for headache disorders: a comprehensive efficacy review.
→ PMR bei Migräne (in Kombination mit Biofeedback) - AWMF-Leitlinie Fibromyalgie (2017):
→ Empfehlungslage zu PMR bei Fibromyalgie
- Stetter & Kupper (2002):
Autogenic training: a meta-analysis of clinical outcome studies.
→ Wirksamkeit von AT bei psychosomatischen Beschwerden - IQWiG (Gesundheitsinformation.de):
→ Laienverständliche Infos zu AT und Einsatzbereichen
- Kuyken et al. (2015):
Mindfulness-based cognitive therapy to prevent relapse in depression.
→ Achtsamkeitsbasierte Meditation in der Rückfallprophylaxe bei Depressionen - Goyal et al. (2014):
Meditation programs for psychological stress and well-being: a systematic review and meta-analysis.
→ Übersichtsstudie zu Meditation bei Stress, Angst, Schmerz - Cochrane Library – Meditation bei Schmerzen:
→ Achtsamkeitsmeditation bei chronischen Schmerzen